Mein Körper – mein Feind?

Eine Betrachtung aus aktuellem Anlass

Nein, ich rede nicht davon, dass ich über keine Idealmaße verfüge und dass mein BMI gerade mal noch so als Wohlfühlgewicht durchgeht; ich habe das auch nie als Problem empfunden und sah deshalb auch keinen Anlass, meinen Körper mit hochhackigen Fußquälern oder formender Unterwäsche mit Atemnot-Effekt zu überlisten oder mit Diäten zu quälen. Auf die Idee kleinerer oder gar größerer kosmetischer Eingriffe bin ich nie gekommen, auch im vorrückenden Alter nicht.

Aber was ich meinem Körper übel nehme, ist, dass er mir jetzt unangekündigt seinen Dienst versagt hat. Dabei hätte ich es wissen können, sagen meine Söhne. In deinem Alter steigt man nicht mehr einfach so auf Leitern, sagen sie. Es war nur eine bequeme Trittleiter, entgegne ich, und es musste sein. Ich fand mich ja in meiner eigenen Bücherwand nicht mehr zurecht. Aber wenigstens die oberen Regalböden hättest du doch uns überlassen können, stimmen nun auch die Lebensgefährtinnen der Söhne mit ein.

Sind Sie schon mal von einer Leiter gefallen? Dabei musste ich mich nicht mal direkt an der Leiter festhalten, was ja immer eine ziemlich wacklige Angelegenheit ist, sondern konnte die jeweils nächstliegende senkrechte Trennwand des massiven Bücherregals ergreifen. Ein Moment der Unaufmerksamkeit genügte, um daneben zu greifen, das Gleichgewicht zu verlieren und krachend auf dem Teppich zu landen. Auf dem Rücken, wo ich erstmal erschrocken liegen blieb und dann vorsichtig, mit zitternden Händen prüfte, ob mein Körper Schaden genommen hatte. Offenbar nicht; Ich würde mit ein paar blauen Flecken davonkommen…

Ja, schön wär’s gewesen! Mein Körper musste sich wohl erst eine geeignete Lektion überlegen als Strafe für meinen unsachgemäßen Umgang mit ihm. Ich hatte den Sturz schon zum Stürzlein herabgestuft – da begann er sich mit drei Tagen Verspätung bemerkbar zu machen. Erst kribbelten meine Finger und Zehen und fühlten sich eiskalt an, dann konnte ich den Stift nicht mehr sicher halten und sah falsche Farben. Meine Hausärztin diagnostizierte einen eingeklemmten Nerv mit den Worten: „Eklig schmerzhaft, aber nicht lebensbedrohlich; so was kann sich leider hinziehen. Tiefes Bücken vermeiden, wenn Sachen auf den Boden fallen – einfach liegen lassen.“ Sie gab mir eine Spritze, verordnete mir eine schmerzstillende Salbe, Pillen zur Muskelentspannung, warme Umschläge sowie gaanz viel Ruhe und wenig Bewegung. „Damit zwingst du mich aber nicht in die Knie, Bürschchen“, sagte ich zu meinem Körper, „dann erledige ich eben mal halb liegend den ganzen überfälligen Schreibkrempel.“ Nur hatte auch meine Konzentrationsfähigkeit gelitten, so dass ich mich auf den ganz simplen Papierkram beschränken musste.

Am nächsten Morgen zwang mich mein Körper zwar nicht in, aber auf die Knie. Wie buchstäblich erniedrigend, das Bett nur per improvisierter Rutschbahn aus Decken und Kissen verlassen zu können und die Sanitärzelle nur auf allen Vieren zu erreichen. Am besten, ich blieb erstmal dort und gönnte mir ein warmes Bad. Die Viertelstunde, die ich brauchte, um mich unter Zuhilfenahme beweglicher Teile der Badezimmereinrichtung in die Wanne zu wälzen, und die halbe Stunde, um wieder heraus zu kommen, waren alles andere als eine Demonstration natürlicher Anmut.

„Du kriegst mich trotzdem nicht klein“, gab ich meinem Körper zu verstehen und experimentierte am Tag darauf mit Techniken zur Vermeidung kriechender, krauchender und krabbelnder Fortbewegung. Der Schreibtischsessel auf Rollen war nur mäßig geeignet, weil nicht für das Überwinden von Türschwellen konzipiert. Auch das Fahrgestell des Einkaufs-Trollis, von der abnehmbaren Tasche befreit und mit einem Kissen ausgestattet, enttäuschte als Rollstuhl mit tiefer Sitzposition: Man brauchte zur Fortbewegung eine Kraft in den Armen oder Beinen, die man momentan nicht hatte. Außerdem hatten es die nötigen Bewegungen fast alle auf den gequälten Nerv abgesehen. Auf einem dicken Kissen bäuchlings durch den Korridor zu rutschen war keine schlechte Alternative, vorausgesetzt, man entfernte vorher die Schmutzfang-Matten. Wenn dann auch noch zufällig das Skateboard eines Enkels zur Hand war und unter das Kissen geschoben wurde, kam man ohne Stöhnen und recht zügig von einer Ecke der Wohnung zur anderen.

Die dringende Empfehlung der Ärztin, über Ostern die Wohnung zu hüten, konnte mich nicht davon abhalten, eine kleine Strecke des obligatorischen Ostermontag-Spaziergangs, eingehenkelt bei meinen Söhnen, zu absolvieren. Hinterher übte ich mich in der ungewohnten Rolle einer umsorgten Oma. Die Kinder bereiteten die Kaffeetafel, sammelten fallen gelassene Kleinteile vom Boden, darunter den Original-Inhalt einer Stecknadelbüchse, und meine Enkelin baute mir aus Beständen der großen Kiste mit Bastel- und Dekomaterial sowie einigen geerbten, in die hinterste Schrankecke verbannten Ausstattungsgegenständen einen „österlichen Kitschtempel“ in Rosé und Quietschgrün.

Angefreundet habe ich mich mit meinem allzu streikbereiten Körper bis heute nicht wieder.

2 Kommentare zu “Mein Körper – mein Feind?”

  1. Karl sagt:

    Liebe Meta, ich begrüße dich zurück bei den österlich Auferstandenen. Das ist ja eine herrllche Vorstellung, wie du dich mit dem untergeschnallten, kissengepolsterten Rollbrett deines Enkels bäuchlings durch die Wohnung bewegst. Es ist erstaunlich, dass wir Menschen dann doch noch immer eine Notlösung finden, wenn es nicht anders geht.

    Aber wir brauchen viel Geduld mit uns, besonders unserereiner auf seine alten Tage. Und dein Körper hat recht, wenn er erst einmal zutiefst beleidigt ist. Da musst du ihn jetzt lange um gut Wetter bitten, Hauptsache, es geht überhaupt irgendwie langsam wieder aufwärts, wenn auch mit vielen Pausen.

    Bitte schließe Frieden mit deinem Körper. Du hast schließlich angefangen.

  2. Marlen sagt:

    Liebe Meta, du kannst dir meines Mitgefühls sicher sein. Ich wünsche dir alles Gute und hoffe, du leistest dir keinen zweiten Sturz. Bei mir war es nicht die Leiter, sondern das Sportrad, über dessen Lenker ich abstieg, weil ich die Wirkung der Scheibenbremsen unterschätzt hatte. Daraufhin war ich gezwungen, sechs Wochen lang alles „mit links“ zu erledigen…

    Was mich bei dir nachdenklich stimmt, ist die Einstellung zu deinem Körper: „Du kriegst mich trotzdem nicht klein“. Ich denke, so kannst du ihn nicht behandeln. Wenn es dir gut gehen soll, müssen doch Körper, Geist und Seele eine Einheit bilden und dementsprechend gleichgestellt sein.

    Mein persönliches Motto: Lerne deinen Körper zu beherrschen, bevor er eines Tages dich beherrscht. Das bedeutet, dass du ihn genau so gut trainieren solltest wie deinen Geist. Er kann auch nur das leisten, was du ihm beigebracht hast, also erziehe ihn mit Liebe, aber mache ihn dir nicht zum Feind. An dem Sturz trägt er vielleicht gar keine Schuld, eher war es wohl die Unvernunft. Aber nimm‘ es zum Anlass, um deinen Körper nicht mehr als Stiefkind zu betrachten. Dein Geist und deine Seele brauchen ihn, er ist ihr Zuhause.

    Liebe Meta, abschließend bitte ich dich, das alles nicht als Belehrung zu verstehen. Ich denke nur, dass ich körperlich viele Erfahrungen sammeln konnte, während du dich viel sicherer auf geistiger Ebene bewegst. Da konnte ich aus deinen Beiträgen schon so manche Lücke füllen.

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